Was ist Wirklichkeit?

Das höchste Ziel der Yoga Praxis ist Samadhi, das Aufgehen in der eigenen Wirklichkeit. Der Weg dahin ist die Auslöschung von Avidya, oder Unwissenheit darüber was Wirklichkeit ist. Die zeitlose Lehre wahrer Meisterschaft ist ein Echo des allgegenwärtigen Rufes sich der Wirklichkeit zu er-innern. Sowohl die Evangelien als auch die Veden sind tief durchdrungen mit der Andacht an unser wahres Wesen.

"Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme." (1) "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater außer durch mich." (2)

"Wirklichkeit muss immer sein. Sie ist nicht in Formen und Namen. Was diesen zugrunde liegt, ist die Wirklichkeit. Sie liegt den Begrenzungen zugrunde, ist aber selbst grenzenlos. Sie ist nicht gebunden. Sie liegt den Unwirklichkeiten zugrunde, ist aber selbst wirklich. Wirklichkeit ist das, was ist. Sie ist, was sie ist. Sie ist jenseits der Sprache, sie ist jenseits der Ausdrücke Sein und Nichtsein usw.” (3)

"Das Leuchten von Bewusstsein-Seligkeit in Form des einen Gewahrseins, das gleichermaßen innen wie außen leuchtet, ist die höchste, beseligende ursprüngliche Wirklichkeit. Ihre Form ist Schweigen, und die Jnanis bezeichnen sie als den letzten und unverstellten Zustand wahrer Erkenntnis (Jnana).

Wisse, dass nur Jnana Nichtverhaftung ist. Nur Jnana ist Reinheit; Jnana ist die Verwirklichung Gottes; nur Jnana, in dem es kein Vergessen des Selbst gibt, ist Unsterblichkeit; Jnana allein ist alles.” (4)

Sri Ramana Maharshi (1879 – 1950) war wohl einer der größten und auch bekanntesten Weisen unserer jüngeren Vergangenheit. Wer seinen Nachlass studiert, in Form der Gespräche, die seine Jünger dokumentiert haben, kann seinen erhabenen, ver-einten Zustand erahnen. Ramanas obige Aussagen betreffen das Thema der Wirklichkeit und stehen für sich im Einklang mit der Lehre des Advaita Vedanta. Die Lehre von ‘Nicht Zwei’, also die Erkenntnis, dass die letztendliche Realität eine Einzige ist. "One, without a Second" (4); Eines, ohne ein Zweites: eine Wahrheit, ein Leben, ein Leuchten, eine Seligkeit, ein Bewusstsein, eine Existenz.

Ist die Wahrnehmung von Einheit also die Erkenntnis der Wirklichkeit?

Für Ramana war die Wirklichkeit alles was ist und seinen Aussagen nach konnte er nichts außerhalb oder verschieden von dieser Wirklichkeit wahrnehmen. Er nannte diese Wirklichkeit oft das Selbst oder Atman. Offensichtlich war auch er Zeuge dieser Wahrheit, und niemand und nichts war für ihn nicht das Selbst, diese eine Wirklichkeit. Durch Jnana, durch das Erkennen dieser Wahrheit (durch das Bewusstsein Christi) kommen wir zum Vater, aramäisch Abwun: Gebärer(in), Vater-Mutter des Kosmos, das einzig Seiende, das reine Eine, die Einheit, der Urspung (5)

Nach der Frage wie man dieses Gewahrsein der einzigen Wirklichkeit - Selbst, Atman, Abwun - erlangen kann antwortete Ramana folgendermaßen:

"Sie selbst sind Gewahrsein, es ist nur ein anderer Name für Sie. Da Sie selbst es sind, besteht keine Notwendigkeit, es zu erlangen oder zu entwickeln. Alles, was Sie tun müssen, ist aufzuhören, andere Dinge wahrzunehmen, also das Nicht-Selbst. Wenn man aufhört, dieses wahrzunehmen, bleibt nur reines Gewahrsein, und das ist das Selbst.” (6) In anderen Worten sinngemäß das gleiche ausgedrückt: "Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter Euch." (7)

Ein anderer Exponent dieser zeitlosen Lehre war Paramhamsa Yogananda, bekannt durch seine Kommentare der Bhagavad Gita, der Evangelien und natürlich durch seine millionenfach gelesene "Autobiographie eines Yogi". In The Second Coming of Christ oder der zusammenfassenden Kurzausgabe The Yoga of Jesus erläutert er den obigen Vers aus dem Lukasevangelium auf diese Weise:

"The kingdom of God does not come in response to sensory observation; neither can they find it who say, ‘Behold, it is here or there somewhere in the clouds.’ Rather, concentrate within and you will find the sphere of God-consciousness hidden behind your material consciousness.” (8)

Durch die Wahrnehmung des Nicht-Selbst (Sinnesbewusstsein) können wir uns der allgegenwärtigen Wirklichkeit (des Reiches Gottes) nicht gewahr werden, nur durch Innenschau, Meditation, Einkehr werden wir unsere Wirklichkeit enthüllen. Lassen wir die Sinnesobjekte los, bleibt nur reines Gewahrsein (God-consciousness).

Om

(1) Johannes 18, 37

(2) Johannes 14, 6

(3) M. Venkataramiah (Hrsg.), Talks with Sri Ramana Maharshi, S. 123

(4) Chandogya Upanishad 6, 2, 1

(5) Muruganar, Guru Vachaka Kovai, Verse 901,438

(6) Vgl. Neil Douglas-Klotz, Das Vater Unser, S. 36

(7) D. Mudaliar, Day by Day with Bhagavan, S. 244

(8) Lukas 17, 20

(9) Paramhamsa Yogananda, The Yoga of Jesus, S 101

1 Comment on “

  1. Hallo, sehr schön geschrieben.Nur durch Meditation können wir die Wirklichkeit erkennen. Auch der “Kurs in Wundern” empfiehlt 2 x am Tag zu meditieren und es ist gut, wenn wir uns von der “dvaita” lösen. Wir werden erkennen, dass die Welt nur ein Trugschluss “maya” ist. Da gefällt mir eine Geschichte von Paramahansa Yogananda aus dem Buch “Autobiographie eines Yogi” sehr gut: er saß in einem Kino und sah dort die Nachrichten vom 1. Weltkrieg und er war sehr traurig und bestürzt darüber. Da sagte sein Yogi zu ihm: “Sei nicht traurig, denn so wie du die Nachrichten hier im Kino siehst – als Film, so ist das ganze Leben. Es ist nur Illusion.”
    Und zum Schluss noch ein schöner Spruch: ES GIBT NUR EINE FALSCHE SICHT DER DINGE: DER GLAUBE, MEINE SICHT SEI DIE EINZIG RICHTIGE.
    Namaste

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